Eltern solidarisieren sich mit streikenden Erzieherinnen
In München haben Eltern begonnen sich hinter die streikenden Erzieherinnen zu stellen.
In München haben Eltern begonnen sich hinter die streikenden Erzieherinnen zu stellen. Sie haben einen Elternbrief verteilt und am 25.02.08 kurzfristig einen ersten Elternabend organisiert, an dem acht Eltern teilnahmen. Als erster Schritt wurde beschlossen, einen Protestbrief an Oberbürgermeister Ude zu schicken. Ab dem ersten Streiktag will man künftig die Bezahlung des Essensgelds verweigern. Die Eltern wollen nicht, dass Erzieherinnen Notgruppen aufrechterhalten müssen. Stattdessen soll eine alternative Kinderbetreuung organisiert werden, die der Stadt mit 10 Euro pro Stunde und Betreuungsperson in Rechnung gestellt werden soll. Außerdem wollen die Eltern das Büro von OB Ude besuchen und ihn auffordern die Position von ver.di und GEW zu unterstützen. Es wird von ihm gefordert den Personalreferenten der Stadt München Thomas Böhle ( Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeberverbände) sofort zu entlassen.
„Liebe Eltern,
die Einrichtung unserer Kinder wird am 21.2. 08 bestreikt.
Das bringt für uns Eltern große Problem mit sich. Doch dieser Streik ist notwendig. Es geht dabei auch um die berufliche Zukunft unsere Kinder.
Bund und Kommunen wollen die Arbeitszeit der 2,1 Millionen Arbeiter und Angestellten unbezahlt auf 40 Stunden erhöhen. Damit wird der Stundenlohn einer Erzieherin um 4% abgesenkt und gleichzeitig mehr als 80.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet.
Was Bundesinnenminister Schäuble medienwirksam als 5%-Angebot verkauft, ist in Wirklichkeit eine weitere Absenkung des Lohnes, wenn man davon ausgeht, dass 1% für eine Leistungsprämie reserviert werden soll, die nicht allen zugute kommt. Die übrig gebliebenen 4% verteilen sich auf zwei Jahre: 2,5% ab 1.2.08, 1% ab 1.10.08 und 0,5% ab 1.3.09. Das heißt die durchschnittliche jährliche Erhöhung liegt weit unter der jährlichen Inflationsrate. Rechnet man die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit dagegen, ergibt sich unterm Strich ein dickes Minus.
Die ErzieherInnen haben in den letzten Jahren durch drei Nullrunden und die Einführung eines neuen Tarifvertrags seit 2004 einen Reallohnverlust von etwa 23% hinnehmen müssen. Der aktuelle Tariflohn einer Berufsanfängerin liegt bei 1.764 Euro brutto und in der Endstufe bei 2.285 Euro. Über die Lebensarbeitszeit gerechnet verliert eine verheiratete Erzieherin mit zwei Kindern durch den neuen Tarifvertrag 238.000 Euro gegenüber dem alten BAT.
Die Forderung von ver.di und GEW (8% mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro und die Rückkehr zum System der früheren Aufstiege und Zulagen) ist daher absolut notwendig und muss voll durchgesetzt werden.
Von Erzieherinnen wird heute erwartet, dass sie Sprachdefizite und Wahrnehmungsstörungen der Kinder erkennen und beheben. Sie sollen naturwissenschaftliches und mathematisches Verständnis wecken, den Kindern eine gesunde Lebensweise nahe bringen, sie für Bewegung begeistern und sie zu sozialen und doch durchsetzungsfähigen Persönlichkeiten erziehen. Bei viel zu wenig Personal sollen sie sich individuell um jedes Kind kümmern. Auch körperlich ist die Arbeit einer Erzieherin nicht zu unterschätzen. Häufiges Bücken, Hochheben und Tragen von Babys und Kleinkindern machen den Rücken kaputt. Erzieherinnen sind einem Lärmpegel ausgesetzt, der in der Industrie Gehörschutz und eine Lärmzulage zur Folge hätte.
Wir wollen ein verlässliche und gute Betreuung unserer Kinder. Das fängt mit guten Arbeitsbedingungen für ErzieherInnen und ausreichend Personal in der Kinderbetreuung an.
Doch auch das Gehalt muss stimmen. Es darf nicht sein, dass eine Erzieherin gezwungen ist nach ihrem harten Alltag in der Kita einen Zweitjob anzunehmen, damit sie finanziell über die Runden kommt.
Längere Arbeitszeiten führen zu Abbau von Arbeitsplätzen, unsere Kinder sollen später aber auch eine Ausbildungsstelle und einen Arbeitsplatz bekommen. Mit jedem Arbeitsplatz, der durch Arbeitszeitverlängerung vernichtet wird, verliert eines unserer Kinder eine berufliche Perspektive.
Die Verantwortung für den Streik und die dadurch bedingte Schließung von Kitas tragen nicht unsere Erzieherinnen und nicht ver.di/GEW, sondern die Arbeitgeber. Sie provozieren diesen Streik.
Wir sollten uns im gemeinsamen Interesse von Eltern, Kindern und Erzieherinnen voll mit dem Streik im öffentlichen Dienst solidarisieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Eltern Druck ausüben auf streikende Erzieherinnen.
Wir Eltern sollten gemeinsam mit den Erzieherinnen überlegen, wie wir diesen Streik gemeinsam durchstehen können. Wir sollten aber auch überlegen, wie wir den Politikern im Rathaus Druck machen können und ihnen unmissverständlich deutlich machen, dass wir sie verantwortlich machen für diesen Streik. Wir könnten z.B. mit unseren Kindern Protestaktionen im Rathaus machen, Protestbriefe schicken, usw. In Stuttgart haben 2006 in einem neun Wochen langen Streik täglich 900 bis 1.000 Erzieherinnen gestreikt. Sie hatten dabei die solidarische Unterstützung des größten Teils der Eltern. Obwohl auch Müllabfuhr und andere Bereiche streikten, war es so, dass die Verwaltungsspitze während des Streiks am meisten genervt war von Eltern, die den Bürgermeistern ständig in den Ohren lagen.
Wir schlagen deshalb für den 25.02.08 einen Elternabend vor, um über den Streik und unser Vorgehen zu diskutieren.
Max Brym, Martina Warsa, Oliver Stey
V.i.S.d.P.: Oliver Stey, Max-Stadt-Str.5, 80689 München „