Um die fünfzig Kolleginnen und Kollegen waren der Einladung des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“ und der „ver.di-Linken NRW“ zu einem bundesweiten Vernetzungstreffen am 30. August nach Dortmund gefolgt. Hauptthema des Treffens war die Bilanz der Arbeitskämpfe 2015, insbesondere bei der Post und in den Sozial- und Erziehungsberufen. Darüber hinaus gab es Vorschläge zum Eingreifen beim ver.di-Kongress im Herbst und für eine weitere Zusammenarbeit.
Kämpferisch und solidarisch – bundesweites Vernetzungstreffen von ver.di-Kollegen
Bei der Diskussion zur Streikbilanz hob Angelika Teweleit, Sprecherin des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“ hervor, dass gerade in den Bereichen des öffentlichen Dienstes und der Dienstleistungen eine hohe Streikbereitschaft der KollegInnen – bei der Post und in den Sozial- und Erziehungsberufen (SuE), aber auch bei Amazon oder der Berliner Charité – deutlich geworden ist, diese aber von der ver.di Führung nicht für eine Ko-ordinierung der Kämpfe genutzt wurde. Anders als beim Bahnstreik, der durch die Gewerkschaft GDL gegen viele Gegner (Arbeitgeber, Politik, Medien, aber auch gegen eine unsolidarische Haltung von Seiten der DGB-Führung) trotzdem erfolgreich zu Ende geführt wurde, wurde vor allem der Abschluss bei der Post als eindeutige Niederlage von ver.di eingeschätzt.
Der Postvorstand habe sich durchgesetzt und könne sein Ziel einer Gewinnsteigerung auf fünf Milliarden bis 2020 erreichen. Diese Niederlage wäre zu verhindern gewesen. Der Organisationsgrad bei der Post sei mit 70% sehr hoch und die ökonomische Wirkung eines Streiks sei groß. Nur maximal 35.000 Kolleginnen und Kollegen wurden in den Streik einbezogen und damit nur etwa ein Drittel der ver.di Mitglieder bei der Post. Es wurden auch nicht genügend Anstrengungen unternommen, die Beschäftigten mit prekären Arbeitsverhältnissen in den Arbeitskampf einzubeziehen und für ver.di zu gewinnen. Der Streik wurde ohne jegliche Diskussion und demokratische Entscheidungsmöglichkeiten der Mitgliedschaft geführt und von oben plötzlich abgebrochen. Weder am Anfang noch am Ende gab es eine Urabstimmung.
Beim Arbeitskampf der KollegInnen in den Sozial- und Erziehungsberufen konnten – nicht zuletzt auf Initiative von Aktiven aus der Streikbewegung von 2009 – Formen der Mitsprache von unten eingeführt werden, die in den meisten anderen Bereichen so nicht umgesetzt werden. So fanden in einigen Bezirken tägliche Streikversammlungen statt. Zudem gab es eine bundesweite Streikdelegiertenversammlung. Dies führte zu einer Entschlossenheit und Dynamik, die eine Kapitulation durch die Führung wie bei der Post verhinderte. Allerdings wurde deutlich, dass im Verlauf des Kampfes nicht die Streikdelegiertenversammlung das letzte Wort bei den Entscheidungen hatte, berichtete Julian Koll, der als Teil der bezirklichen Arbeitskampfleitung in Dortmund zu diesen Versammlungen delegiert worden war. So waren die KollegInnen mit der Anrufung der Schlichtung und dem damit verbundenen Streikabbruch vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Koll berichtete auch, dass die Einlassungspflicht in der Schlichtung, auf die sich der ver.di Vorsitzende Frank Bsirske zunächst berufen hatte, für diesen Fall gar nicht galt.
Es spielte eine wichtige Rolle, dass die Streikdelegiertenversammlung den Schlichterspruch mehrheitlich ablehnte und auch durchsetzte, dass zunächst eine Mitgliederbefragung durchgeführt wurde, um die KollegInnen zu befragen, ob sie das Ergebnis annehmen wollen oder weiter streiken. Das Ergebnis der Befragung war dann mit fast 70% für Fortsetzung des Streiks überwältigend gewesen.
Die TeilnehmerInnen des Vernetzungstreffens schätzten ein, dass es von Seiten des Bundesvorstandes nun Bestrebungen gibt, die Beteiligung der Mitglieder an den Entscheidungen wieder zurück zu drängen. Dafür spricht, dass bisher keine bundesweite Streikdelegiertenversammlung einberufen wurde und dass die Streikstrategie offensichtlich ohne Diskussion unter den betroffenen KollegInnen – nun ebenfalls top down – beschlossen wird. Ein Kollege berichtete, dass bei einer Mitgliederversammlung in Bochum großer Unmut darüber laut wurde und sich die Versammlung gegen die vorgegebene Flexistreik-Taktik und stattdessen für die Wiederaufnahme des unbefristeten Vollstreiks ausgesprochen habe. Das Treffen beriet über eine Resolution, um innergewerkschaftlich Druck zu machen für örtliche Mitgliederversammlungen, eine erste weitere bundesweite Streikdelegiertenkonferenz im September sowie Folge-Konferenzen, die über alle Fragen der Streiktaktik entscheiden, die Ausweitung der Auseinandersetzung auf die freien Träger, den Aufbau von örtlichen Solikomitees, eine breite Solidaritätskampagne von ver.di und dem DGB. Für diese Resolution sollen Unterschriften gesammelt werden und sie soll auf dem im September stattfindenden Bundeskongress in Leipzig bekannt gemacht werden.
Generell wurde aus den verschiedenen Tarifrunden bei ver.di die Schlussfolgerung gezogen, dass die ver.di-Führung die Härte der Arbeitgeber unterschätze, immer noch von Sozialpartnerschaft ausgehe und Rücksicht nehme auf die regierende SPD. Dies führe dazu, dass ver.di ohne eine erfolgversprechende Streikstrategie in Tarifauseinandersetzungen gehe.
„Die wirtschaftspolitische Abteilung von ver.di liefert viele Zahlen über Armut und Reichtum im Land und fordert eine Umverteilung von oben nach unten. Aber dort, wo ver.di mit Streiks die Hebel in der Hand hätte, diese Umverteilung durchzusetzen, versagt unsere Gewerkschaft“ so Helmut Born von der ver.di-Linken NRW.
Viele KollegInnen kritisierten, dass ver.di die verschiedenen Streiks im Jahr 2015 nicht zusammenführte und damit eine große Chance verpasst hat. Es hätte gute Möglichkeiten gegeben, wenn die KollegInnen der Post, der SuE, des Einzelhandels, von Amazon, der Berliner Charité, des Einzelhandels – allesamt in ver.di organisiert – gemeinsam zu einer gemeinsamen bundesweiten Demonstration auf die Straße gegangen wären. Auch der Schulterschluss mit den KollegInnen der GDL wäre wichtig gewesen. Wenn es gemeinsame Streikkundgebungen gab, dann war das vereinzelt und wurde von unten durchgesetzt. Ein Grund für das getrennte Marschieren wurde in der Struktur von ver.di als „13 Gewerkschaften in einer“ betrachtet. Verschiedene RednerInnen machten klar, dass die Trennung der Fachbereiche aufgebrochen werden muss. Dazu wolle man einen Beitrag leisten.
Zuletzt tauschte man sich über die Antragslage für den ver.di Bundeskongress aus. Es zeichnet sich ab, dass auch bei ver.di die innergewekschaftliche Demokratie geschliffen und die Amtszeit der gewerkschaftlichen Gremien von 4 auf 5 Jahre verlängert werden soll. Auch wenn es bei den inhaltlichen Anträgen manches gibt, mit dem auch die Gewerkschaftslinke
übereinstimmt (Tarifeinheit, TTIP, Ceta, TISA, Streikrecht, Friedenspolitik), so sind doch manche Anträge dabei, wo sicherlich kontroverse Debatten zu erwarten sind. Die linken Delegierten haben sich vorgenommen, ihr Eingreifen beim ver.di-Kongress zu koordinieren und wollen dies durch Randtreffen beim Kongress gewährleisten. Am Beispiel des Tarifeinheitsgesetzes zeige sich, dass Einfluss genommen werde auf die Positionierung von ver.di. Die Ablehnung des Tarifeinheitsgesetzes wurde vor vier Jahren auf dem ver.di-Kongress durch einen Antrag aus NRW beschlossen.
Bezüglich der weiteren Zusammenarbeit wurde ein nächstes bundesweites Treffen für das kommende Jahr anvisiert. KollegInnen der Post und im Sozial- und Erziehungsdienst tauschten email Adressen aus. Insgesamt soll der Informationsaustausch und Diskussionen intensiviert werden. Zudem wurde auf zwei weitere Treffen zum Thema Union Busting verwiesen, bei denen sie einige KollegInnen sicher wieder sehen werden.
Gregor Falkenhain von der ver.di Linken NRW sagte in seinem Schlusswort als Versammlungsleiter: „Das Treffen war kämpferisch und solidarisch. Ver.di braucht uns“.