Verdi-Programmentwurf

Legitimation des Rückzugs
Kritik am ver.di-Programmentwurf: Statt Abkehr von bisheriger Verzichtspolitik Akzeptanz von Marktwirtschaft, Privatisierung und »differenzierter« Tarifverträge

Ver.di Gewerkschaftstag 2007

Vom 29.9. bis 5.10.2007 findet der nächste ver.di-Kongress statt. Ver.di wird dann weit mehr als 600.000 Mitglieder weniger haben als bei der Gründung 2001. Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion über die Gründe. Und vor allem müssen Konsequenzen gezogen werden, die den Trend umkehren. Auf dem ver.di-Kongress soll ein neues Grundsatzprogramm beschlossen werden. Der vorliegende Entwurf geht jedoch in die völlig falsche Richtung. Er macht die derzeitige katastrophale Politik des ver.di-Vorstands zum Programm. Das muss verhindert werden. Beim ver.di-Kongress 2003 wurden zudem Beschlüsse gefasst, die nicht umgesetzt wurden. Einige Beispiele:

  1. Die vom ver.di-Vorstand und führenden ver.di-Gremien betrieben Arbeitszeitpolitik steht im diametralem Gegensatz zu den Beschlüssen des ver.di-Kongresses. Beim ver.di-Kongress 2003 in Berlin lagen insgesamt 18 Anträge vor, die Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich forderten. Von diesen 18 Anträgen forderten sechs explizit die 35-Stunden-Woche und fünf die 30-Stunden-Woche. Ein Antrag von der BundesarbeiterInnenkonferenz (F84) forderte den Kampf für die 35-Stunden-Woche „in den nächsten Tarifrunden“. Beschlossen wurde schließlich in Antrag B 452 „ver.di hält an dem Ziel der Arbeitszeitverkürzung fest.“…“Als Ziel ist die regelmäßige Arbeitszeit mit einheitlich 35 Stunden ohne Kürzung der Einkommen anzustreben“ (B452).
    In den tarifpolitischen Auseinandersetzung gibt es in der Frage der Arbeitszeit aber einen Rückschritt nach dem anderen. Im öffentlichen Dienst wurden die AZV-Tage kampflos aufgegeben. Die gesetzlich verhängte unbezahlte Arbeitszeitverlängerung für die BeamtInnen wurde von Bsirske mit den Eckpunkten zur Beamtenrechtsreform ausdrücklich akzeptiert. Der TvöD bedeutet eine halbe Stunde unbezahlte Arbeitszeitverlängerung für die Tarifbeschäftigten beim Bund im Westen. Den Kommunen wurden Öffnungsklauseln für die 40-Stunden-Woche eingeräumt, die sie entsprechen nutzen. Die Folge davon ist, dass die kommunalen Beschäftigten in Hamburg, Niedersachsen und Baden-Württemberg bereits um die 39 Stunden in der Woche arbeiten.
    Bei einer Massenarbeitslosigkeit von offiziell über 5 Millionen sind Zugeständnisse in der Frage der Arbeitszeit völlig unakzeptabel. Sie widersprechen auch dem Ergebnis der ver.di-Umfrage wonach sich 73% der ver.di-Mitglieder gegen Arbeitszeitverlängerung ohne Entgelterhöhung ausgesprochen haben. 52% wollen die 35-Stunden-Woche. (Siehe ver.di-publik Dez./Jan. 2005)

  2. Der ver.di-Kongress hat  den „Erhalt von familienbezogenen Bestandteilen in Bezahlungssystemen“ beschlossen (B452). Trotzdem werden sie jetzt mit der Zustimmung zu einem neuen Beamtenrecht und dem TvöD/TV-L aufgegeben.
  3. Mit Antrag B 460 wurde eine „bundesweite Kampagne gegen die Ausgliederung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und für den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge“  und Widerstand gegen Ausgliederung und Privatisierung beschlossen. Bis heute wurde dieser Antrag nicht umgesetzt. Die Folge davon ist, dass Privatisierungen, Ausgründungen ungehindert weitergehen und Belegschaften und Bezirke, die dagegen kämpfen auf sich alleine gestellt sind.
  4. In Antrag F1 zur Tarifpolitik wurde beschlossen, „Sinn, Inhalt und Zustandekommen der Tarifverträge müssen wieder stärker an die Beschäftigten herangebracht werden, um die betriebliche Basis für unsere Tarifpolitik zu stärken.“ Mit demselben Antrag wurde gefordert, dass Tarifverträge wieder stärker ihre Schutzfunktion wahrnehmen „gegen globale Lohnkonkurrenz, Niedriglohnsektor, Erosion der Flächentarife, Abbau von Sozialrechten und Schutzgesetzen“.  In der Praxis passiert genau das Gegenteil. TvöD und TV-L sind nichts anderes als ein bundesweiter Absenkungstarifvertrag. Mit der Zustimmung zu Öffnungsklauseln betreibt ver.di die Erosion des Flächentarifvertrags und Tarifdumping mit.
  5. Während uns die Wirtschaftsabteilung von ver.di ständig mit Zahlen versorgt, die deutlich machen, dass die öffentlichen Kassen im Interesse der Reichen geplündert werden, verweist der ver.di-Vorstand bei Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst regelmäßig auf die leeren Kassen, und rechtfertigt damit eine möglichst niedrige Tarifforderung. Während die Gewerkschaftsspitze ständig davon redet, dass die Binnennachfrage gestärkt werden müsse, bleiben Tarifabschlüsse unterhalb der Inflationsrate. Während der ver.di-Kongress beschlossen hat „mindestens den verteilungsneutralen Spielraum (Produktivitätszuwachs plus Preissteiegerungsrate) voll auszuschöpfen“ (F1) bleiben die Tarifabschlüsse weit darunter und hilft die Tarifpolitik bei der weiteren Umverteilung von unten nach oben.
  6. In verschiedenen Publikationen bezeichnet Ver.di  Löhne unter 2.163 Euro als Niedriglöhne und Löhne unter 1.442 Euro als Armutslöhne. Beim ver.di-Kongress im Oktober 2003 wurden zwei Anträge des Bundeserwerbslosenausschusses und der Landesbezirkskonferenz Bayern mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 1.500 Euro verbunden mit einer automatischen jährlichen Erhöhung entsprechend der Inflationsrate als Material für den Bundesvorstand angenommen. Im Frühjahr 2004 sprach Bsirske selbst noch von einem Mindestlohn von 1.500 Euro. Leider hat die ver.di-Führung diese Marke inzwischen durch die eigene Tarifpolitik unterschritten. Im neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst wurden die unteren Lohngruppen im Durchschnitt um 300 Euro auf einen Armutslohn von 1.286 Euro/West und 1.189,55 Euro/Ost abgesenkt. Es ist Zynismus, wenn Spitzenfunktionäre wie Bsirske, die im Monat mehr als 13.000 Euro einstecken, von Millionen abhängig Beschäftigten erwarten, dass sie mit weniger als einem Zehntel ihres Einkommens über die Runden kommen sollen. Wenn Bsirske jetzt nur 1.200 Euro und einen gesetzlichen Mindestlohn von nur 7.50 Euro/Stunde fordert, dann zeigt das, dass der ver.di-Vorstand arbeitende Arme zum Programm der Gewerkschaften machen will.

Anträge und Antragsschluss zum ver.di-Kongress
Antragsschluss für den ver.di-Kongress ist der 25. Mai 2007
Antragsberechtigt laut ver.di-Satzung §39 sind folgende Gliederungen:

 

  1. Bezirkskonferenzen
  2. Bezirksvorstände
  3. Landesbezirkskonferenzen
  4. Landesbezirksvorstände
  5. Gewerkschaftsrat
  6. Bundesvorstand
  7. Bezirksfachbereichskonferenzen/Bezirksfachbereichsversammlungen
  8. Bezirksfachbereichsvorstände
  9. Landesbezirksfachbereichskonferenzen
  10. Landesbezirksfachbereichsvorstände
  11. Bundesfachgruppenkonferenzen
  12. Bundesfachgruppenvorstände
  13. Bundesfachbereichskonferenzen
  14. Bundesfachbereichsvorstände
  15. Bundesfrauenkonferenz und Bundesfrauenrat
  16. Bundeskonferenzen und Bundesvorstände bzw. -ausschüsse der Gruppen

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