Kämpferische GewerkschafterInnen setzen GEW-Apparat unter Zugzwang

Auf dem Landesgewerkschaftstag der nordrhein-westfälischen GEW (26.-28. April 2007) findet Antrag zur Wiederherstellung des alten BAT große Mehrheit! Persönliche Erklärung junger Delegierter fordert darüber hinaus Ausladung etablierter Parteien bei künftigen Gewerkschaftstagen.

Vier Tage vor dem traditionellen Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai kam der alle anderthalb Jahre stattfindende Landesgewerkschaftstag der NRW-GEW in Bochum zusammen. Gut 400 Delegierte stimmten über mehr als 50 Anträge und Änderungsanträge ab, tauschten Positionen untereinander aus und hörten sich nicht nur Grußworte von VertreterInnen anderer Gewerkschaften, sondern auch der Parteien CDU, SPD und Grüne an.

Geballte Ladung Wut gegen CDU, Zwischenrufe und Entsetzen bei SPD

Vor dem Hintergrund, dass mit der Arbeitgeberseite der einschneidende Absenkungstarifvertrag TV-L für die Landesbeschäftigten abgeschlossen wurde und gleichzeitig in NRW die Mitbestimmung de facto abschafft wird, redeten wieder einmal Vertreter der etablierten Parteien auf einer gewerkschaftlichen Veranstaltung und stahlen den KollegInnen die Zeit. „Glauben Sie mir“, schnarrte CDU-Landtagsfraktionschef Stahl ins Mikrofon, nachdem ihm die geballte Ladung Wut der Delegierten über die Bildungs- und Personalvertretungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung entgegengebracht wurde, „ich kenne alle – und ich betone – alle Argumente aus dieser Richtung. Realisieren sie einfach, Sie haben nicht die Deutungshoheit in bildungspolitischen Fragen!“ Die „demokratisch gewählte Landesregierung“ dagegen habe sie… Mit diesem ironischer Weise nicht ganz unberechtigten aber dennoch unglaublichen Affront wurden die delegierten KollegInnen abgespeist. Auch beim Auftritt der SPD-Vertreterin machten die ZuhörerInnen durch Zwischenrufe und Ausdrücke des Entsetzens z.B. über die Pläne zur Rente mit 67 klar, was sie von der Kürzungspolitik der letzten Zeit und sämtlicher etablierter Parteien halten.

Weiter gingen diesbezüglich einzelne KollegInnen, wie die, die am letzten Tag eine persönliche Erklärung abgab und sagte, dass sie motiviert und gestärkt nach Hause fahren wollte, nun aber eher frustriert sei, da zu wenig Zeit war für inhaltliche Debatten und stattdessen Altbekanntes und Ausgelatschtes von Parteivertretern Kund getan werden konnte. Eine schriftlich vorgelegte persönliche Erklärung von acht jungen Delegierten zog daraus die Konsequenz und forderte, keine Vertreter der etablierten Parteien mehr zu künftigen Gewerkschaftstagen einzuladen!

TV-L prägendes Thema des GEWerkschaftstags

Vom ersten Tag an prägten die Auswirkungen des jüngst in Kraft getretenen TV-L, der den alten und besseren BAT ablöst, die Debatten und Antragsdiskussionen. Und das, obwohl bei weitem die meisten Delegierten im Beamtenverhältnis stehen. Ein Zeichen dafür, dass die KollegInnen verstanden haben, dass ein Angriff auf einen Kollegen ein Angriff auf alle Beschäftigten bedeutet? Hoffentlich! Die RepräsentantInnen des mitgliederstärksten Landesverbands der Bildungsgewerkschaft GEW stimmten jedenfalls direkt am ersten Tag für den Antrag eines jungen Kölner Delegierten. Damit scheiterte der Versuch, eben diesen Antrag durch einen vom Landesvorstand gestellten Alternativantrag zu verhindern. Beschlossener Inhalt: „Für eine ökonomische Gleichstellung der neu im öffentlichen Dienst Eingestellten […] durch sofortige Nachverhandlungen, […] unmittelbare Vorbereitung auf die neuen Tarifverhandlungen 2008 einschließlich Info-, Mobilisierungs- und Kampfmaßnahmen am besten zusammen mit den KollegInnen von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes.“ Der letzte Absatz dieses Antrags mit dem Betreff „Auswirkungen der neuen Tarifverträge TV-L/TVÜ-Länder“ wurde am Ende der eine gute dreiviertel Stunde dauernden Debatte gesondert abgestimmt – und schlussendlich ebenso mit deutlicher Mehrheit angenommen. Er lautet: „Das Minimalziel muss der Erhalt der Vergütungsordnung des BAT, die Wiedereinführung der altersabhängigen Vergütung sowie der Sozialzuschläge sein.“

Signale richtig deuten – und nutzen!

Das alles ist ein Riesenerfolg für die kämpferischen GewerkschafterInnen – und die von dreistelligen, massiven Einkommensverlusten betroffenen KollegInnen! Die Frage allerdings ist, welche Mittel die GEW zur Verfügung hat, die Beschlüsse umzusetzen. In einer Rede eines Funktionärs hieß es: „Die GEW muss in gewisser Weise erst noch Gewerkschaft werden“. Die Frage ist, ob die GEW nun die Rolle einer schlagkräftigen Gewerkschaft einnimmt oder sich weiter der Verhandlungsführerschaft der ver.di-Bürokratie unterwirft, wie beim TV-L geschehen? Fest steht, dass die Bochumer Beschlüsse Signalwirkung für die KollegInnen vor Ort haben. Wir können die Gewerkschaftsspitze nicht nur der GEW, sondern des gesamten öffentlichen Dienstes nun daran messen, ob endlich zu aufrichtigen Informationsveranstaltungen, wirklichen Kampfmaßnahmen und konsequenten Streiks mobilisiert wird.

Auf dass aus einer demobilisierenden apathischen Haltung der Gewerkschaftsspitzen lautes Aufbegehren der KollegInnen vor Ort und ein aktiver Kampf für Verbesserungen wird. Seit dem Gewerkschaftstag des nordrhein-westfälischen Landesverbands ist Streik kein Fremdwort mehr in der GEW, die bisher äußerst selten mit dieser Art politisch-betrieblicher Vorgehensweise zu tun hatte. Und spätestens im Streik muss dann endlich grundsätzlich diskutiert werden, damit auch Begriffe wie Antikapitalismus und Sozialismus keine Fremdworte mehr sind.

Der Antrag im Wortlaut:

A9 Betreff: Auswirkungen der neuen Tarifverträge TV-L/TVÜ-Länder

Der Gewerkschaftstag 2007 der GEW NRW möge beschließen, dass die GEW NRW für eine ökonomische Gleichstellung der neu im öffentlichen Dienst Eingestellten initiativ wird. Dies soll geschehen

  • durch sofortige Nachverhandlungen zum TV-L mit der Arbeitgeberseite,
  • durch landesweit einzuberufende Informationsveranstaltungen für werdende und bereits eingestellte LehrerInnen,
  • durch Erhöhung des politischen Drucks,
  • durch unmittelbare Vorbereitung auf die neuen Tarifverhandlungen 2008 einschließlich Info-, Mobilisierungs- und Kampfmaßnahmen am besten zusammen mit den KollegInnen von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes.

Das Minimalziel muss der Erhalt der Vergütungsordnung des BAT, die Wiedereinführung der altersabhängigen Vergütung sowie der Sozialzuschläge sein.

Begründung:

Seit Ende September 2006 hat sich in NRW die Zukunftsperspektive von noch im Referendariat befindlichen KollegInnen dramatisch verschlechtert.

Die vorzeitige Aufhebung des Mangelfacherlasses und damit das Wegfallen der Aussicht auf Verbeamtung ist ein Grund dafür. Der andere ist, dass wegen des am 1. November 2006 in Kraft getretenen TV-L den neu eingestellten LehrerInnen im Angestelltenverhältnis bis zu 25 Prozent Einkommensverlust gegenüber dem alten BAT und bis zu 35 Prozent Einkommensverluste gegenüber verbeamteten KollegInnen drohen. Es geht um bis zu 900,- EUR des monatlichen Netto-Einkommens!

Diese Neuerungen haben bereits dazu geführt, dass LerhamtsanwärterInnen ihr Referendariat vorzeitig beendeten.

Aber auch bereits im Angestelltenverhältnis befindliche KollegInnen sind betroffen, wenn sich an ihren Vertragsmodalitäten etwas ändert (z.B. befristete Verträge). Zudem werden alle mit den Einkommenseinbußen konfrontiert, die nach dem Vorbereitungsdienst zunächst eine Vertretungsstelle im Angestelltenverhältnis (z.B. EZU) antreten und nicht verbeamtet werden.

Eine kämpferische Basis für diesen Antrag ist seitens der LehramtsanwärterInnen mobilisierbar. Diese haben schon im Oktober 2006 die „Initiative gegen die massiven Verschlechterungen für neu eingestellte LehrerInnen im Angestelltenverhältnis in NRW“ ins Leben gerufen und mit Petitionen an den Landtag, einer landesweiten Unterschriftenkampagne und einem ersten landesweiten Treffen Widerstand gegen die nicht hinnehmbaren Einkommensverluste organisiert.“