ver.di Bundeskongreß

Berichte zum ver.di-Bundeskongreß

Antragsmarathon
Ver.di-Bundeskongreß spricht sich gegen Bahn-Privatisierung, aber für »ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt« aus. Viele tarifpolitische Themen nicht behandelt
Daniel Behruzi
Personalquerelen und Strukturfragen standen im Mittelpunkt der Debatten auf dem zweiten ver.di-Bundeskongreß, der am Samstag in Leipzig zu Ende ging. Doch auch über Inhalte wurde gestritten. Mit insgesamt 1303 Anträgen – die das gesamte Spektrum von der Wirtschafts- und Finanzpolitik über internationale Themen bis hin zur Tarifpolitik abdeckten – hatten sich die rund 900 angereisten Delegierten der Dienstleistungsgewerkschaft zu befassen. Rund 90 Anträge konnten nach Angaben der ver.di-Pressestelle aus Zeitmangel nicht behandelt werden und wurden an den Gewerkschaftsrat, das höchste Gremium zwischen den Kongressen, verwiesen.

Insbesondere aus dem Themenkomplex Tarifpolitik wurde über einen Großteil der vorgelegten Positionen nicht abgestimmt. Dabei gab und gibt es in den Betrieben und Gewerkschaftsgliederungen gerade hier enormen Diskussionsbedarf. Der Unmut richtet sich insbesondere gegen den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) – zu besichtigen u. a. in einem Internetblog der ver.di-Arbeiter (verdi-blog.de/arbeiterinnen/viewentry/292). Dennoch wurden die Anträge, die Nachbesserungen an der »Tarifreform« einforderten, am Ende der Tagesordnung plaziert und letztlich nicht mehr behandelt, so zum Beispiel über die Abschaffung des mit dem TVÖD eingeführten »Leistungsentgelts«. Gleiches gilt für Vorschläge, Tarifkonflikte künftig stärker fachbereichs- und gruppenübergreifend zu führen. Hintergrund ist die weit verbreitete Erkenntnis, daß die Gründung der Großgewerkschaft ver.di vor sechseinhalb Jahren nicht zu mehr Einheitlichkeit in den Auseinandersetzungen geführt hat und die von den Fachbereichen in Eigenregie gestaltete Tarifpolitik oftmals unkoordiniert nebeneinanderher läuft.

Für Mindestlohn
Bekräftigt wurde von den Delegierten die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Neben dem Einsatz für dessen gesetzliche Festschreibung solle ver.di »auch die sukzessive Erhöhung von 7,50 auf 9 Euro (…) fordern und den Prozeß bis dahin begleiten«, heißt es in einem Beschluß zum Thema. Ein weiterer Antrag, der einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde sowie die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche fordert, wurde »als Arbeitsmaterial« an den Bundesvorstand überwiesen.

In der Frage des im Vorfeld des Bundeskongresses kontrovers diskutierten Entwurfs für ein ver.di-Programm wurde so verfahren, wie es der Gewerkschaftsrat zuletzt vorgeschlagen hatte (siehe jW vom 1.Oktober). Statt wie ursprünglich geplant über den vom Bundesvorstand vorgelegten Programmentwurf – der insbesondere bei der gewerkschaftlichen Linken auf leidenschaftliche Ablehnung gestoßen war – abzustimmen, entschieden die Delegierten, die Debatte bis zum nächsten Kongreß im Jahr 2011 fortzusetzen. Grundlage soll der vorliegende Entwurf »unter Einbeziehung aller vorliegenden Rückmeldungen und Positionen« sein. Auch die vom Fachbereich Post, Spedition und Logistik sowie vom Landesbezirk Hessen erarbeiteten Alternativentwürfe sollen demnach in die Diskussion einbezogen werden. Dies wird als Erfolg für die Linke gewertet, die eine Verabschiedung des von ver.di-Chef Frank Bsirske protegierten und durch und durch sozialpartnerschaftlich orientierten Bundesvorstandsentwurfs zunächst verhindert hat.

Gegen Bahn-Privatisierung
Auch in anderen Fragen haben sich durchaus fortschrittliche Positionen durchgesetzt. Neben der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Inneren und dem Widerstand gegen die Einschränkung demokratischer Grundrechte gilt dies zum Beispiel für den Beschluß, die Kampagne für ein NPD-Verbot zu unterstützen. Auch zum Thema Bahn-Privatisierung hat der Kongreß klar Position bezogen: »Im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung des Verkehrssektors fordert ver.di, daß die Deutsche Bahn AG als integriertes Unternehmen vollständig in öffentlichem Eigentum verbleibt.« Eine Kapitalprivatisierung wird generell abgelehnt – u. a. begründet mit den negativen Erfahrungen bei der Telekom. »Alles Handeln würde ausschließlich auf die kurzfristige Gewinnmaximierung des privaten Kapitalgebers abgestellt«, so die Befürchtung der Gewerkschafter.

Wie bereits im Vorfeld äußerst umstritten waren die Beschlüsse zur Befürwortung eines »dritten« oder, wie es in einem verabschiedeten Antrag heißt, eines »ehrlichen zweiten Arbeitsmarkts« (jW berichtete). Dies war bei der Aussprache insbesondere von Delegierten der ver.di-Erwerbslosen kritisiert worden. »Wir brauchen nicht zusätzliche Arbeit, wir brauchen normale Arbeit mit gleichem Lohn für gleiche Tätigkeit«, betonte beispielsweise Anne Eberle aus Nordrhein-Westfalen. Solchen Argumenten zum Trotz stimmten die Delegierten der öffentlichen Subventionierung von Beschäftigungsverhältnissen für »besonders Benachteiligte« nach einer Intervention von ver.di-Chef Bsirske zu.

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