Kampfansage

Im öffentlichen Dienst braut sich was zusammen: Ver.di Baden-Württemberg fordert 9,4 Prozent mehr Geld. »Arbeitgeber« wollen Arbeitszeitverlängerung

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Der öffentliche Dienst steuert auf einen Arbeitskampf zu. Während die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in der vergangenen Woche mit einem »Zehn-Punkte-Katalog« auf Konfrontationskurs ging, wollen die in ver.di organisierten Beschäftigten mehr Geld – und zwar deutlich mehr. Das Verlangen der Gegenseite nach Arbeitszeitverlängerung und nur geringen Lohnzuwächsen sei eine »Zumutung, Provokation und Kampfansage«, erklärte Gewerkschaftschef Frank Bsirske am Montag abend auf einer Veranstaltung der ver.di-Betriebsgruppe im Stuttgarter Klinikum.

»Es gibt eine hohe Erwartungshaltung«, betonte der Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger vor den rund 80 versammelten Krankenhausbeschäftigten. Während es Birske am Montag abend vermied, eine konkrete Zahl ins Spiel zu bringen, hat der Landesbezirk im Südwesten bereits Position bezogen: 9,4 Prozent und mindestens 214 Euro mehr sollen es werden, so der kürzlich von einer tarifpolitischen Konferenz gefällte Beschluß. Schließlich hätten auch die Abgeordneten des Bundestags kürzlich für sich selbst Diätenerhöhungen von 9,4 Prozent beschlossen. Die Begründung der Parlamentarier, sie wollten nach einer mehrjährigen Pause wieder am Produktivitätsfortschritt teilhaben, gelte ebenso für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst. Die Mindestsumme von 214 Euro solle sicherstellen, daß Beschäftigte in der mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) vor etwa zwei Jahren eingeführten Niedriglohngruppe (EG 1) auf ein Monatseinkommen von 1500 Euro angehoben werden, heißt es in der jW vorliegenenden Resolution. Für Auszubildende wird darin 150 Euro mehr Geld gefordert.

Ver.di-Chef Bsirske betonte vor den Krankenhausbeschäftigten lediglich, die Lohnerhöhung müsse rein linear – also dauerhaft wirksam – sein und dürfe nicht unter den Abschlüssen in der Privatwirtschaft liegen, damit die Schere zwischen den Einkommen im öffentlichen Dienst und anderen Branchen nicht noch größer werde. Deutlicher äußerte sich Riexinger: »Wir müssen höhere Lohnforderungen stellen als in der Privatwirtschaft. Schließlich gibt es nach drei Jahren ohne dauerhafte Einkommenssteigerung bei Bund und Kommunen einen enormen Nachholbedarf«, sagte er auf jW-Nachfrage. Eine Beschäftigte aus dem Reinigungsdienst des Klinikums erklärte auf der Versammlung, ihre Kolleginnen seien gegen eine Prozentforderung und würden sich nicht am Streik beteiligen, wenn ver.di sich nicht mehr für die unteren Lohngruppen einsetze. Der Hintergrund ist, daß prozentuale Erhöhungen die Schere zwischen unteren und oberen Einkommensgruppen weiter öffnen, während sich die Löhne durch Festbeträge einander annähern.

Auch anderswo werden aus diesem Grund Festgeld- statt Prozentforderungen erhoben. So beschloß beispielsweise eine ver.di-Mitgliederversammlung bei der Stadtverwaltung im niedersächsischen Osnabrück, der Bundestarifkommission (BTK) eine Forderung von 240 Euro Festgeld vorzuschlagen. »Die Bereiche, die den Konflikt im wesentlichen bestreiten müssen, also die klassischen Arbeiterbereiche, werden durch eine prozentuale Erhöhung weiter abgekoppelt«, begründete Wilhelm Koppelmann vom Grünflächenamt der Stadt dies gegenüber jW. Auch er betonte den Zusammenhang zwischen Streikbereitschaft und Forderungshöhe. »Die Kollegen werden sich ausrechnen, was ihnen die Auseinandersetzung bringt –die Forderung hat also viel Einfluß darauf, ob wir eine gute Mobilisierung hinbekommen oder nicht«, so Koppelmann, der als Mitglied der BTK für eine entsprechende Positionierung eintreten will. Das Gremium soll am 18./19. Dezember über die konkreten Forderungen entscheiden.

Öl ins Feuer gießt derweil die VKA. In einem Beschluß der kommunalen Arbeitgeberverbände aus der vergangenen Woche heißt es, die Abschlüsse in der Privatwirtschaft könnten für die Städte und Gemeinden »kein Maßstab sein«. Spezielle Regelungen will die VKA offenbar in den Kliniken durchsetzen. Die Finanzausstattung der kommunalen Krankenhäuser lasse »keine Spielräume für lineare Erhöhungen«, so die verabschiedete Erklärung. Zudem wollen die »Arbeitgeber« eine Verlängerung der Wochenarbeitszeiten auf 40 Stunden und die Ausweitung der »Leistungsbezahlung« durchsetzen. »Das ist eine absolute Kampfansage an die Beschäftigten und ver.di und bedeutet, daß wir im öffentlichen Dienst einen Großkonflikt mit allen Facetten bekommen«, kommentierte Riexinger dies. Der Gewerkschaft bleibe nur übrig, sich sofort auf einen umfassenden Arbeitskampf vorzubereiten.

»Die Arbeitgeber haben praktisch den ganzen Horrorkatalog aufgemacht, der so mit Sicherheit zu Konflikten führen wird«, meinte auch Gregor Falkenhain, Leiter des ver.di-Fachbereichs Bund/Länder in Nordrhein-Westfalen, gegenüber jW. Mit diesem Vorgehen sorge die VKA dafür, daß ver.di in jedem Fall mobilisierungsfähig werde. In NRW hat ver.di ür den 6. Dezember zu einer tarifpolitischen Konferenz geladen. Doch erste Beschlüsse zeigen, daß die Gewerkschafter hier nicht zurückhaltender sind als im Südwesten. So sprach sich der Fachbereich Bund/Länder im Bezirk Bonn ebenfalls für eine Forderung von 9,4 Prozent aus.