Frankreich: Streik im Öffentlichen Dienst am 24. Januar 2008

Tinette Schnatterer, ver.di-Mitglied aus Stuttgart und Unterstützerin des „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“.

Frankreich: Streik im Öffentlichen Dienst am 24. Januar 2008

Tinette Schnatterer, ver.di-Mitglied aus Stuttgart und Unterstützerin des „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ berichtet aus Frankreich

In den letzten Jahren war ich in der Bewegung gegen die Einführung von Studiengebühren aktiv. Bei vielen Demonstrationen trugen Studierende französische Fahnen: als Symbol für den erfolgreichen Protest gegen das Ersteinstellungsgesetz (CPE) in Frankreich und als Aufforderung auch hier endlich „französisch zu kämpfen“.

Zur Zeit arbeite ich nun als Sprachassistentin an einem französischen Lycée (Oberstufenschule) in Montargis und hatte so die Gelegenheit an den letzten beiden Streiktagen der französischen Lehrer teilzunehmen. Es ist interessant wie sich die Stimmung hier seit Beginn des Schuljahrs verändert hat. Von Anfang an war klar, dass es höchste Zeit ist für höhere Löhne zu kämpfen und dass das Geld hinten und vorne nicht reicht. Gleichzeitig war die Stimmung auf der ersten Gewerkschaftsversammlung im Oktober eher gedrückt. Unter dem Eindruck der Medienberichte über faule Lehrer und der immer wieder zitierten Unterstützung in der Bevölkerung für Sarkozys Maßnahmen, fürchteten viele, die Bevölkerung würde nicht verstehen wenn wir streiken. Am ersten Streiktag beteiligte sich meine Schule folglich nicht. Vor dem zweiten Streiktag im Oktober war die Stimmung bereits umgeschlagen – unter dem Eindruck des Streiks der Bahnbeschäftigten, Elektrizitätsbeschäftigten, … überwog das Gefühl, dass es Zeit ist sich am Protest zu beteiligen. Die Gewerkschaftsversammlungen finden für die verschiedenen Gewerkschaften gemeinsam und während der Unterrichtszeit statt, so dass sich die Lehrer freistellen lassen. Es wurde nicht bei dem Beschluss zu streiken belassen, sondern einiges dafür getan den Streik sichtbar zu machen und möglichst viele KollegInnen vom Mitmachen zu überzeugen. Alle Streikenden hängten Zettel an ihre Fächer „Ich werde streiken“. Bald hingen auch Zettel „Ich habe am 20. frei, aber unterstütze Euch“. Am Streiktag findet traditionell morgens eine Versammlung aller Lehrer der Kleinstadt statt und anschließend eine Demonstration. Mit Sprechchören und –ganz französisch- mit Leuchtfeuern. Am 20.11.  wehte ein Hauch von der großen Streikbewegung 1995 durch Frankreich, da sich viele verschiedene Beschäftigungsgruppen gemeinsam im Streik befanden.

Das Ergebnis dieses Streiks für Lohnerhöhungen für die Lehrer war allerdings ernüchternd.

Anstelle von Zugeständnissen kündigte die Regierung einen massiven Stellenabbau im Öffentlichen Dienst an. Zwischen 2009 und 2012 sollen 160 000 Stellen wegfallen, zusätzlich bereits in diesem Jahr 22 900 .

Nach den Weihnachtsferien wurde bekannt gegeben wie viele Lehrerstellen konkret an welcher Schule wegfallen werden. An meinem Lycée sind das 7 Stellen von insgesamt ca. 100. In der Regel wird das so gelöst, dass die Stellen von KollegInnen, die in Rente gehen nicht neu besetzt werden. Auf einer erneuten Gewerkschaftsversammlung wurden diese Zahlen bekannt gegeben. Zusammen mit der Information, dass schon jetzt jeder Lehrer unserer Schule im Schnitt 2,5 Überstunden pro Woche macht! Und Überstunden für Lehrer heißt immer auch noch mehr zusätzliche Zeit für die Vorbereitung, Korrekturen, … 7 Stellen weniger kann nur heißen, dass entweder die Klassen größer werden, oder noch mehr Überstunden gemacht werden. Seitdem diese Zahlen auf großen Postern im Lehrerzimmer hängen gibt es viele, zum Teil verbitterte, Diskussionen unter den Kollegen. Eine Kollegin hat unter die Rechnung der Überstunden geschrieben: „Und wenn wir sie einfach nicht mehr machen?“ Einige Kollegen schimpfen über die jüngeren KollegInnen die angeblich gerne Überstunden machen. Aber die verteidigen sich, dass sie schlicht und einfach auf das Geld angewiesen sind. Eine Kollegin zum Beispiel hat vorgerechnet dass ihr Mann zur Zeit arbeitslos ist und sie mit ihrem Gehalt die vierköpfige Familie ernähren muss. Ein Lehrer der seit 10 Jahren am Lycée arbeitet verdient z.B. 1740 Euro Netto im Monat.

Der Stellenabbau heißt natürlich auch, dass mehr und mehr Lehrer arbeitslos auf der Straße stehen während die, die einen Job haben immer gestresster sind. Die Situation in den Klassen wird dabei immer schwerer. Mehr und mehr SchülerInnen leiden unter Konzentrationsschwierigkeiten. An meinem Lycée, das wirklich keine Brennpunktschule ist, beschweren sich viele Lehrer, dass immer mehr Zeit drauf geht um überhaupt eine Situation in den Klassen herzustellen in der Unterricht stattfinden kann. Wenn man allerdings mitbekommt in was für familiären Situationen viele der Jugendlichen leben verblüfft es wenig, dass sie keine Ruhe haben sich auf die Schule zu konzentrieren. Zunehmende gesellschaftliche Probleme wirken sich so direkt auf die Arbeitsbedingungen von LehrerInnen aus.

Und die Unterstützung in der Bevölkerung für den Streik war groß (57% laut einer Umfrage der BVA), was auch damit zusammenhängt, dass eine allgemeine Unzufriedenheit über die „Kaufkraft“ zunimmt. Sarkozy hatte eine Steigerung der Kaufkraft versprochen, stattdessen sehen alle Beschäftigten ihre Kaufkraft immer weiter angegriffen. Die Kaufkraft der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist nach Angaben der Gewerkschaften seit 2000 um 6% gesunken.

Auf Schülerseite herrscht sowieso ein großes Verständnis. Die Schüler wissen nicht nur, was weniger Lehrer bedeuten, sondern sie haben selbst auch mehrfach in den letzten Monaten gestreikt. Ein paar von ihnen waren sogar auf der Demonstration mit DIN A4 Zetteln gegen Uni- und Schulreform.

Dabei hatte die Regierung alles getan um eine Stimmung gegen den Streik zu schaffen: ganz kurzfristig wurde in Teststädten ein Minimalservice eingeführt, d.h. die Rathäuser mussten sicherstellen dass die Kinder in Turnhallen…. betreut werden konnten. Auf der Demonstration wurde immer wieder Bezug auf diese „Notfallbetreung“ genommen. Es wurde gefordert dass die Regierung erst mal im Normalbetrieb einen Minimalservice sicherstellen soll anstatt weiter Personal abzubauen! Auch wenn es nicht gelungen ist die Eltern gegen die streikenden Lehrer aufzubringen verbirgt sich dahinter ein weiterer Angriff aufs Streikrecht. Innerhalb von drei Monaten müssen die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern ein Abkommen zum Minimalservice im Streikfall unterzeichnen, ansonsten hat der Bildungsminister angekündigt es per Gesetz einzuführen. Zusätzlich müssen Streikende die ihre Beteiligung am Ausstand nicht 48h vor Beginn bekannt geben mit Strafen rechnen.

Das Bekanntwerden der abgebauten Stellen pro Schule hat mit Sicherheit auch dazu geführt, dass die Beteiligung am Streiktag am 24.1. unter LehrerInnen besonders hoch war. Nach Gewerkschaftsangaben legten 55% aller Lehrer die Arbeit nieder. Tatsächlich fand auch so gut wie kein Unterricht statt. Dass selbst die konservative Gewerkschaft Snalc (Bildungsbereich) ihre Mitglieder am 24. Januar zum Streik aufgerufen hat, ist ein deutliches Zeichen dass die Wut kocht. Lehrer trugen Schilder auf denen stand: „Schule und Lehrer im Ausverkauf“ und „mehr arbeiten um weniger zu verdienen“.

Auf der einen Seite war die Wut noch viel größer und konkreter als im Herbst, auf der anderen Seite fehlte aber das motivierende Element der Bewegung im November.

Die Taktik mal hier mal da einen Tag zu streiken ist schwierig. Es ist allen klar, dass man damit die Forderungen nicht durchsetzen kann und dadurch sinkt auch die Bereitschaft den Lohnverlust hinzunehmen. Einzelne Schulen haben deshalb einfach beschlossen im Streik zu bleiben bzw. am 1. Februar wieder zu streiken. Am Lycée Vaucanson in Tours haben die KollegInnen auf einer Versammlung mit 60 Anwesenden ohne Gegenstimme beschlossen am 1.2. wieder zu streiken und eine Unterschriftensammlung unter Eltern und Schülern zu organisieren mit der sie die Beibehaltung aller Stellen fordern. Ein Beispiel dafür, dass die KollegInnen endlich ernst machen wollen mit dem Protest, allerdings nützt es wenig solange die Schulen isoliert bleiben.

In Frankreich gibt es kein Streikgeld und viele meiner KollegInnen überlegen sich wie oft sie auf ein Tagesgehalt verzichten können wenn damit nicht wirklich Druck aufgebaut wird.

Während im November die Tatsache, dass neben dem Öffentlichen Dienst auch die Bahn, die Elektrizitätswerke, die Post, die Theater und sogar ein paar Betriebe der Privatwirtschaft gestreikt haben das Selbstbewusstsein gestärkt hatte wurde diese Möglichkeit dieses mal verschenkt:  Bahn- und Elektrizitätsarbeiter waren zwei(!) Tage vorher zum Streik aufgerufen.

Die KollegInnen die schon lange an der Schule arbeiten, beklagen, dass die Bereitschaft sich gewerkschaftlich zu organisieren bei den jungen Lehrern nachgelassen hat und dass Traditionen verloren gegangen sind. Dabei sind die jungen KollegInnen in den Gesprächen die die am wütendsten sind! Um eine neue Streikkultur aufzubauen wäre allerdings ein längerer Streik notwendig. Dafür müsste irgendwie das Gefühl vermittelt werden dass eine Taktik vorliegt mit der man auch etwas erreichen kann.