von Angelika Teweleit, Berlin
Am Donnerstag, den 29.8. streikten H&M Beschäftigte der Filiale Friedrichstraße in Berlin. Mit Flugblättern und Buttons forderten sie gemeinsam mit uns UnterstützerInnen die PassantInnen auf, sich mit dem Arbeitskampf solidarisch zu zeigen. Mit einem kämpferischen Betriebsrat und einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad ist die Stimmung bei den Beschäftigten der Filiale von Selbstbewusstsein geprägt.
Etwa zwanzig Personen standen mit gelben ver.di-Streikwesten, einem Transparent und Plakaten „Dieser Betrieb wird bestreikt“ vor dem Haupteingang. Mit Megaphon sprach der Betriebsrat die vorbei laufenden PassantInnen an und beschrieb die Situation bei H&M: Während der Eigentümer der 8. reichste Mann weltweit ist, sollen die Löhne durch die Einführung einer Niedriglohngruppe weiter gesenkt werden. Nach diesen Plänen sollen in Zukunft diejenigen, deren Tätigkeit „vorwiegend“ aus Warenbearbeitung und Warenauffüllung besteht (und wenn man von sechs Stunden „nur“ zwei Stunden an der Kasse steht, soll das der Fall sein) niedriger eingruppiert werden. Der Stundenlohn soll dann für Beschäftigte in Ostberlin € 8,24 und in Westberlin € 8, 50 betragen. (Heute liegt der Stundenlohn zwischen 11,08 € und 13,84 € je nach Berufsjahr.) Mit der Kündigung der Manteltarifverträge stehen planbare Arbeitszeiten, Schichtzulagen und Urlaubsregelungen auf dem Spiel.
Zur Frage der Löhne sagte eine Kollegin: „Wir haben mehr verdient, als was wir kriegen. Schließlich sind wir diejenigen, die die Waren auspacken, die Gespräche mit den Kunden führen, an der Kasse stehen. Ohne uns gäbe es keinen Umsatz.“ In Gesprächen beschrieben die streikenden Kolleginnen und Kollegen die Arbeitssituation als sehr belastend, was auch eine Folge davon sei, dass am Personal gespart wird: „ Oft wird die Arbeit von drei KollegInnen gemacht, die eigentlich für vier vorgesehen ist.“ Am Ende eines Arbeitstages sei man so erschöpft, dass einem die Kraft für die Beschäftigung mit den Kindern fehle „Ich finde es schade, dass ich es einfach nicht mehr schaffe, nach der Arbeit noch eine Weile auf dem Spielplatz zu verbringen oder etwas anderes schönes mit meinem Kind zu unternehmen.“ so eine Kollegin. Wenn die Arbeit an Wochenenden nicht mehr freiwillig sondern verpflichtend würde, dann würde das die Situation noch verschlimmern. Einer anderer Kollege befürchtet, dass das Sozialleben stark eingeschränkt wird. Wenn man abends einen Anruf bekommt, dass man am nächsten Tag anstatt von acht bis 16 Uhr dann doch von zwölf bis 22 Uhr zu erscheinen habe, würde es extrem schwierig, sich überhaupt noch mit Freunden zu verabreden.
„Dieses Mal machen die Arbeitgeber einen Frontalangriff. Sie scheinen zu keinen Kompromissen bereit zu sein. Doch unsere Streikbereitschaft ist auch gewachsen.“ so ein Kollege. Um den Arbeitskampf zum Erfolg zu bringen, wünschen sich die KollegInnen eine größere Beteiligung. Der hohe Anteil von Beschäftigten mit befristeten Verträgen in den Filialen sei dabei allerdings auch ein Problem. „Es ist klar, dass viele Angst haben, dass ihre Befristung nicht verlängert wird, wenn sie sich am Streik beteiligen.“ Dass sich aber aus dieser Filiale auch Beschäftigte mit Befristung beteiligten, liegt an der starken Interessenvertretung vor Ort. „Das ist in Filialen ohne Betriebsrat eine andere Sache.“ wurde erklärt. Eine Kollegin sagte: „Mir geht es auch darum, unserem Betriebsrat den Rücken zu stärken. Er hat soviel für mich erreichen können: meine Übernahme mit unbefristetem Arbeitsvertrag hätte ich ohne ihn nicht bekommen. Er setzt sich enorm für uns ein. Zum Beispiel hat er erreicht, dass erst bestehende Arbeitsverträge aufgestockt werden, bevor neues Personal eingestellt wird. Das gibt uns allen mehr Sicherheit. Ohne diese Erfahrung würden wir heute nicht so geeint hier stehen.“
Als Lehre kann man ziehen: mit starker gewerkschaftlicher Organisierung und einem kämpferischen Betriebsrat hat die Belegschaft bessere Arbeits- und Kampfbedingungen in ihrem Betrieb. Um dahin zu kommen, sollten sich so viele wie möglich an diesem Arbeitskampf beteiligen.
In der ver.di Strategie spielt richtigerweise eine wichtige Rolle, dass Streiks keine lange Vorankündigung haben, damit die Arbeitgeber wenig Zeit haben, Streikbrecher zu organisieren. Es sollte aber auch versucht werden, möglichst viele zeitgleich aufzurufen, damit die gemeinsame Stärke spürbar wird.
Einer der wichtigsten Faktoren für einen Erfolg ist Öffentlichkeitsarbeit. Mein Eindruck war, dass viele Menschen noch immer nichts von diesem Generalangriff der Arbeitgeber im Einzelhandel gehört haben. Da gibt es noch einiges zu tun.
Bundesweite Streiktage könnten helfen, mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Solidarität aus anderen ver.di-Fachbereichen und den anderen Gewerkschaften muss ebenfalls bewusst gesteigert werden. Gemeinsame Kundgebungen mit anderen, die sich im Arbeitskampf befinden, könnten auch das Gefühl von gemeinsamer Stärke fördern. (Am selben Tag streikten z.B. auch ZustellerInnen der PIN Mail AG; die angestellten LehrerInnen in Berlin stehen im Arbeitskampf; bald könnte es zum Streik an der Charité kommen.) Für ein stärkere Wahrnehmung des Arbeitskampfs im Einzelhandel können auch andere wie die Partei DIE LINKE eine wichtige Rolle spielen.
Ziel muss natürlich sein, den Angriff der Arbeitgeber auf die Manteltarifverträge abzuwehren und die berechtigte Lohnforderung durchzusetzen. Aber nicht nur das. Im Zuge des Arbeitskampfes ergeben sich auch Möglichkeiten, weitere Betriebe gewerkschaftlich zu organisieren und so die Belegschaften insgesamt zu stärken. Die H&M Filiale Friedrichstraße ist ein Beleg dafür, dass das möglich ist. Die solidarische Unterstützung von außen wurde mit Dank aufgenommen. Ich muss sagen, es war eine inspirierende Erfahrung.