Wir dokumentieren hier die Stellungnahme der „VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ zur Forderung von ver.di zur Tarifrunde TVöD 2023
Tarifrunde Bund & Gemeinden – TVÖD: 10,5%, mindestens 500 € durchsetzen bei 12 Monaten Laufzeit!
Wenn wir unsere Forderungen – 10,5%, mindestens 500 Euro monatlich mehr für alle Vollzeitbeschäftigten – durchsetzen, würde der Lohnverlust für 2023 verhindert.
Wenn es allerdings so läuft wie in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie, wäre auch bei Kommunen und Bund der Reallohnverlust bis Ende 2024 festgeschrieben, denn bei Metall wurden mehrere Fallen eingebaut und der Abschluss ist keineswegs so gut wie in den Medien dargestellt.
Falle Nr. 1: Die Laufzeit
Die Rechnung ist eigentlich einfach, aber in den Medien und seitens der Gewerkschaftsvorstände werden die Gesetze der Mathematik zeitweise durch phantastische Märchen ersetzt. Bei einem Abschluss mit zwei Jahren Laufzeit und einer Erhöhung von zweimal 5% gibt es mitnichten eine Entgelterhöhung von 10%, denn diese muss pro Jahr berechnet werden. Die Inflation macht keine Pause, die Preise steigen auf jährlicher Grundlage um rund 10%. Eine längere Laufzeit ist nichts anderes als ein Lohnverlust auf Raten.
Falle Nr. 2: Die Einmalzahlung
Die bis zu 3000 Euro Einmalzahlung steuer- und abgabenfrei erscheinen vielen Kolleg*innen als der berühmte Spatz in der Hand. Es klingt echt, man hat es schon mal auf dem Konto, dringend benötigt für Nach- und Vorauszahlungen der Energie- und Nebenkosten. Doch die Einmalzahlung verpufft. Sie ist nicht tabellenwirksam. Die nächste Tarifrunde ein oder zwei Jahre später beginnt erneut auf einem niedrigen Niveau – denn die Arbeitgeber rücken die Einmalzahlung nur raus, wenn ver.di bei den Tabellen-Entgelten Zugeständnisse macht. Die Einmalzahlung zählt auch nicht bei der Berechnung von Krankengeld, Jahressonderzahlung, Arbeitslosengeld und Rente. Die Unternehmen sparen dadurch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Im öffentlichen Dienst ist etwas ähnliches schon 2020 mit der „Corona-Prämie“ passiert. Sie hat mit dazu beigetragen, dass die Löhne über die 27 Monate Laufzeit nur um 3,2 % erhöht wurden, während die Preise um 15,4 % gestiegen sind – das bedeutet 12,2 % Reallohnverlust. Eine Einmalzahlung – als Nachzahlung für die Verluste der vergangenen Jahre – wäre als Ergänzung zur klaren Erhöhung der Tabellen-Entgelte akzeptabel, jedoch nicht als Ersatz.
Falle Nr. 3: Die alte Leier von den knappen Kassen
Wir werden es täglich hören, wenn die Warnstreiks losgehen. Der Staat habe kein Geld, man brauche es dringend, um neue Leute einstellen und investieren zu können. Seit Jahren hat es nur bescheidene nominale Erhöhungen gegeben, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben in den 2000ern Reallohnverlust erlebt, dann einen kleinen Aufschwung Mitte der 2010er, danach ging es wieder bergab. Wurden in dieser Phase die Einsparungen seitens der Kommunen genutzt, um zu investieren, endlich genug Personal einzustellen? Alle kennen die Antwort. Kliniken, Schulen, Kitas, der öffentliche Personenverkehr und viele andere Bereiche sind weiter unterfinanziert und teilweise marode. Die Reichen und Konzerne werden nach wie vor nur gering besteuert. Während der Pandemie gingen die Subventionen vor allem an die Konzerne. Aktuell fahren Energie- und Rüstungskonzerne Rekordgewinne ein. Der Staat verzichtet darauf, diese Gelder abzuschöpfen. Wir sollen immer weiter bescheiden sein, während die Reichen reicher werden. Es ist genug Geld da, es ist nur in den falschen Händen!
Schlichtungsvereinbarung ist ein Knebel
Die Tarifrunde kann ganz einfach zu einem Misserfolg werden. Wenn die ver.di-Führung die Erzählung von den leeren Kassen akzeptiert, sich mit dem Slogan der “Stabilität” auf zwei Jahre Laufzeit einlässt und die 10,5% auf diesen Zeitraum ausdehnt – bei 16 bis 20% (oder noch höherer) Inflation. Wenn das Ganze dann noch mit halbherzigen und kleinteiligen Warnstreiks losgeht und der Abschluss erfolgt, bevor ver.di die Kampfkraft der Kolleg*innen entfaltet, ist das ein perfektes Paket für den Lohnverzicht.
Aufgrund der unnötig von ver.di unterschriebenen Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst hat sich die Gewerkschaft selbst dazu verpflichtet, sich bei einem Scheitern von Verhandlungen auf eine Schlichtung einzulassen, in der Friedenspflicht herrscht. Hier würde auch starker politischer Druck aufgebaut. ver.di sollte diese Vereinbarung – sie ist bis einen Monat zum Quartalsende kündbar – sofort kündigen! Wenn die Schlichtung kommt, dann sollten Aktive darauf vorbereitet sein und massiven Druck von unten aufbauen, damit ein Schlichtungsergebnis – von dem schon jetzt klar ist, dass es nicht die notwendigen Erhöhungen beinhaltet – abgelehnt wird und unverzüglich Urabstimmung und Erzwingungs-streik erfolgen.
Erfolg durch konsequenten Arbeitskampf möglich
Es geht auch anders, wir können gewinnen: Klare Kante, nicht von den 12 Monaten Laufzeit abrücken. Mobilisierung der Belegschaften für die Verteidigung des Lohnniveaus. Flächendeckende Warnstreiks zu den Verhandlungsrunden. Lernen von den erfolgreichen Kämpfen an den Kliniken in Berlin (Charité und Vivantes) und Nordrhein-Westfalen (Unikliniken): Streikversammlungen mit Beschlüssen, die für die Tarifkommission bindend sind und volle Einbeziehung der Basis z. B. durch den Aufbau von Streikkomitees der Kolleg*innen, die alle wichtigen Entscheidungen in den Tarifverhandlungen diskutieren, um Erzwingungsstreiks vorzubereiten.
Im großen Streik im öffentlichen Dienst 1992 traten allein am ersten Streiktag 30.000 neue Mitglieder in die damalige ver.di-Vorgängerin ÖTV ein. Gewerkschaften werden im Kampf aufgebaut, nicht durch den Verzicht darauf. Wir können unsere Löhne verteidigen und damit Zehntausende Kolleg*innen davor retten, sich wegen der horrenden Energie-, Miet- und Lebensmittelkosten verschulden zu müssen.
Solidarität
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen nicht allein in einer Tarifauseinandersetzung. Auch die Beschäftigten bei der Post und der Bahn gehen mit ihren Forderungen in die Verhandlungen. Was liegt mehr auf der Hand, als diese Bereiche, die alle mit der öffentlichen Daseinsvorsorge zu tun haben, miteinander zu koordinieren? Gemeinsame Streikkundgebungen und Demonstrationen würden eine Machtdemonstration der Gewerkschaften darstellen und eine Stärkung der einzelnen Tarifrunden bedeuten. Diese könnten gemeinsam zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung gemacht werden.
Klar ist, dass für eine solche Streikbewegung auch Solidarität in der Bevölkerung aufgebaut werden muss. Denn Kapital und Regierung würden einen solchen Erfolg verhindern wollen, der Schule machen könnte. Daher sollte auch über die DGB-Gewerkschaften eine systematische Solidaritätskampagne aufgebaut werden.
In der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) versammeln sich Kolleg*innen aus verschiedenen Branchen. Wir sind der Auffassung, dass die Gewerkschaften und damit die Beschäftigten insgesamt nur aus der Defensive herauskommen, wenn die Gewerkschaften Co-Management und “Sozialpartnerschaft” beenden und konfliktbereit und konsequent die Interessen ihrer Mitglieder gegen private Konzerne und öffentliche Arbeitgeber vertreten. In dieser Tarifrunde ist es notwendiger denn je, sich zu vernetzen, um gemeinsam Druck aufzubauen, so dass diese Tarifkämpfe zum Erfolg geführt und die Gewerkschaften gestärkt werden können!
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