Leipzig: 87,4 Prozent sagen nein zur Privatisierung kommunaler Unternehmen – gegen den erklärten Willen von CDU und SPD
Artikel von Nora Schareika in der jungen Welt vom 29.1.2008
Die Leipziger haben in einem Bürgerentscheid am Sonntag mit überwältigender Mehrheit gegen den geplanten Verkauf der Stadtwerke gestimmt. Damit ist die Privatisierung jeglicher kommunaler Unternehmen für die nächsten drei Jahre vom Tisch.
Die Initiative »Bürgerbegehren Leipzig – Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt« hatte Mitte Dezember mit 42000 gesammelten Unterschriften den Stadtrat dazu gezwungen, den Bürgerentscheid abzuhalten. Das Vorhaben von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), 49,9 Prozent der Stadtwerke Leipzig an den französischen Energiekonzern Gaz de France zu verkaufen, war erst im April letzten Jahres bekanntgeworden und wurde unter anderem von der Initiative als intransparent und ungeeignet für die Lösung der Finanzprobleme der Stadt kritisiert.
Bei einer Wahlbeteiligung von 41 Prozent stimmten am Sonntag 87,4 Prozent der Wähler gegen den Verkauf und lediglich 12,6 Prozent dafür. Pikant dabei ist, daß Stadtoberhaupt Jung bei der Oberbürgermeisterwahl vor zwei Jahren gerade einmal 31,7 Prozent der Wähler im zweiten Wahlgang mobilisieren konnte. Am Sonntag dagegen stimmten 35,8 Prozent aller Wahlberechtigten gegen die Privatisierung. Damit ist das für die Gültigkeit des Bürgerentscheids erforderliche Quorum von 25 Prozent Ja-Stimmen, was etwa 104000 Leipzigern entspricht, weit übertroffen worden – insgesamt stimmten rund 147800 Bürgerinnen und Bürger der Stadt mit »Ja« und 21500 mit »Nein«.
»Ja« heißt in diesem Fall »Nein zur Privatisierung« – die Bürger wurden bei der Abstimmung gefragt: »Sind Sie dafür, daß die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100 Prozent in kommunalem Eigentum verbleiben?« Die Frage schloß damit alle kommunalen Unternehmen ein. »In den letzten Jahren waren alle kommunalen Unternehmen immer wieder Gegenstand von Privatisierungsdiskussionen aller Parteien«, so Mike Nagler von der Initiative Bürgerbegehren. Auch Bürgermeister Jung habe die Position vertreten, daß man auch Teile der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV) verkaufen könne.
Nagler freute sich über das eindeutige Votum. Gegenüber jungen Welt sagte er: »Die Konsequenz davon muß sein, daß man im Rathaus den Kurs der letzten Jahre radikal korrigiert.« Die für ein Bürgerbegehren hohe Wahlbeteiligung von über 40 Prozent sei ein Zeichen, daß die Leute mitreden wollten und daß ihnen die Politik in ihrer Stadt nicht egal sei. »Es ist deutlich geworden, daß ›die da oben‹ doch nicht immer machen können, was sie wollen, und man auch als ›einfacher Bürger‹ Einfluß haben kann.«
Der sichtlich niedergeschlagene Sauerländer Burkhard Jung versuchte sich bei der Pressekonferenz im Anschluß an die Verkündung des Ergebnisses, in Schadensbegrenzung und sagte, er wolle die Entscheidung der Leipziger akzeptieren. Er sei nie so weit von den Forderungen der Bürgerinitiative entfernt gewesen. »Doch offensichtlich ist es uns nicht gelungen, den Menschen ihre Ängste zu nehmen.« Er beklagte sich über die »Diffamierungen« in Zusammenhang mit dem geplanten Anteilsverkauf der Stadtwerke und dem »hervorragenden Angebot« des absolut »fairen Partners« Gaz de France.
Die Initiative Bürgerbegehren will laut Mike Nagler als nächstes darauf hinwirken, daß die Stadträte sich mit ihr und weiteren Bürgern zusammensetzen, um unabhängig von Parteizugehörigkeiten neue Lösungsansätze für die chronische Unterfinanzierung der Stadt zu entwickeln. Nagler sieht das Problem woanders: »Alle großen Städte in Deutschland sind auf Jahre unterfinanziert und verschuldet. Da muß doch etwas Grundsätzliches falsch laufen, und es kann nicht am schlechten Wirtschaften der kommunalen Unternehmen liegen.« Das klare Votum von Leipzig könne ein Signal für den Bund sein, daß die Finanzierung der Kommunen komplett überarbeitet werden müsse. Auch der Geschäftsführer der Linksfraktion in Leipzig, Rüdiger Ulrich, wies im Gespräch mit jW darauf hin, daß die Finanzprobleme der Städte nicht allein hausgemacht seien, sondern auch auf Bundesgesetze wie »Hartz IV« zurückzuführen seien, die die Kommunen extrem viel Geld kosteten. Momentan laufen in mehreren deutschen Städten Bürgerbegehren gegen die Privatisierung kommunalen Eigentums, darunter in Dresden und Berlin.