Geschichte des Netzwerks
Seit dem Sommer 1996 gibt es das Netzwerk von kritischen aktiven KollegInnen in der ötv, jetzt in ver.di. Im Gründungsaufruf für das erste Treffen am 24.8.1996 hieß es:
„Wir, das sind kämpferische Gewerkschaftsmitglieder, Vertrauensleute, Personal- und Betriebsräte die den offiziellen Kurs der ÖTV Führung so nicht mehr hinnehmen wollen und bereits vor Ort für eine andere Politik eintreten. Wir setzten auf Gegenwehr statt auf Co-Management. Wir denken, dass es notwendig ist eine bundesweite, inhaltliche und personelle Alternative zur derzeitigen Führung aufzubauen, Druck auf die Gewerkschaftsfunktionäre auszuüben und da, wo wir können, Initiativen zur Gegenwehr zu ergreifen. Durch einen bundesweiten Erfahrungsaustausch und gemeinsame Initiativen können wir unsere Arbeit vor Ort gegenseitig unterstützen. Deshalb wollen wir alle Interessierten zu einem Treffen zum Aufbau einer Opposition in der ÖTV einladen.“
Da das Netzwerk aus ötv kommt, sind die meisten Netzwerkunterstützerinnen Beschäftigte im öffentlichen Dienst.
Ver.di – trotz Größe keine Stärke
Die Geschichte der fusionierten ver.di hat im März 2001 mit fast drei Millionen Mitgliedern begonnen. In seiner Antrittsrede erklärte Frank Bsirske damals: „Ich denke, daran könnt Ihr diesen Bundesvorsitzenden, daran könnt Ihr diesen Bundesvorstand messen: Den Mitgliedertrend der letzten Jahre umzukehren und vor allem die Zahl der jungen Mitglieder unter 30 zu erhöhen, das ist die Zielmarke“. Das Gegenteil ist aber eingetreten. In den sechs Jahren nach der ver.di-Gründung gab es einen Mitgliederschwund von 600.000. Und die Verantwortung dafür trägt die ver.di-Führung. Sie sind der SPD auf dem Weg in den Neoliberalismus gefolgt. Über ihre Mitarbeit an Hartz- und Rürup-Kommissionen, dem „Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“, Runden Tischen und Kanzlergesprächen lassen beteiligen sie sich an Sozialabbau. Die gewerkschaftliche Tarifpolitik wird nicht mehr von den Interessen der Lohnabhängigen bestimmt, sondern von den Wettbewerbsinteressen und den leeren öffentlichen Kassen. Die Folge davon ist eine Verzichtspolitik, Reallohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung und immer höherer Arbeitsstress. Auch gehaltsmäßig stehen unsere Spitzenfunktionäre auf der anderen Seite. Frank Bsirske verdient 13.000 Euro im Monat.
Gegenwehr statt Co-Management
Wir brauchen Gewerkschaftsfunktionäre, die die Interessen und demokratischen Entscheidungen der Basis vertreten und nicht mehr verdienen als einen Durchschnittslohn.
Wir müssen von unten her Druck auf die Gewerkschaftsführung aufbauen. Wir müssen durchsetzen, dass unsere Wut und unsere Kampfbereitschaft nicht länger in Dampfablassaktionen enden und wir am Ende wieder die Verlierer sind. Wir wollen Kämpfe mit denen wir auch gewinnen können. Wir müssen endlich unserer französischen und italienischen KollegInnen folgen und uns mit politischen Streiks bis hin zum Generalstreik zur Wehr setzen. Die Gewerkschaften müssen wieder zu dem werden, wofür sie gegründet wurden, zu Kampforganisationen der arbeitenden Klasse. Wir müssen von unten her die Gewerkschaften wieder neu aufbauen. Dafür müssen wir im Betrieb und vor Ort Initiativen ergreifen. Dafür müssen wir uns mit kämpferischen KollegInnen in anderen Betrieben und Regionen vernetzen.
Austreten ist der falsche Weg. Denn starke Gewerkschaften sind dringender denn je nötig um unsere Interessen gegen Unternehmer und Regierungen zu verteidigen. Wir müssen die Blockade und Sabotage der Führung von unten brechen und die Gewerkschaften für die Mitgliedschaft zurückerobern.
Eigene Plattform
Seit der Gründung des Netzwerks im Sommer 1996 gab es jährlich 2 Treffen. Von Anfang an waren wir eine Opposition gegen die ideologische und gewerkschaftspolitische Kapitulation von ötv und ver.di.
Beim ötv-Kongress 1996 hat Manfred Engelhard gegen Herbert Mai kandidiert. Wir haben ihn dabei unterstützt. Manfred Engelhardt war Mitbegründer des Netzwerks. Er hat damals 5% der Stimmen bekommen – ein Achtungserfolg.
Beim ersten Treffen konnte eine Einigung auf eine Plattform erzielt werden. Dies war enorm wichtig als inhaltliche Grundlage. 1998 wurde die Plattform um die Forderung nach einer Rente ab 58 auf freiwilliger Basis und bei voller Rente aufgenommen.
Die fortlaufende Absenkung von Löhnen, die Einführung von Niedriglöhnen führte zu der Forderung nach einem Mindestlohn. Wir gehörten zu den ersten, die eine konkrete Forderung erhoben, nämlich 12 Euro Bruttostundenlohn bzw. 2.000 Euro Monats-Bruttolohn. Diese Forderung wurde beim 13. Netzwerktreffen im Herbst 2002 in die Plattform aufgenommen. Wir sind der Meinung, dass die von ver.di geforderten 7,50 Euro viel zu niedrig sind und haben in einer Presseerklärung am 11.08.05 scharf kritisiert, dass Frank Bsirske einen Mindestlohn von 1.200 forderte und damit seine Forderung von 1.500 vom Frühjahr 2004 nochmal reduzierte.
Innergewerkschaftliche Opposition
Mit den ersten bundesweiten Treffen und der Verabschiedung war der Grundstein für eine innergewerkschaftliche Opposition gelegt. Es wurde ein Sprecherrat gewählt, der seither mehrmals bei bundesweiten Treffen neu gewählt wurde.
Wir waren innerhalb der ötv die einzigen, die die Fusion zu ver.di konsequent abgelehnt haben und haben dazu mehrere Stellungnahmen abgegeben. Wir waren dagegen, dass eine bürokratische Fusion zu einem Gebilde stattfindet, das noch als ADAC der Arbeitnehmer agiert. Auf dem ötv-Sonderkongress 1999 gab es nur einen einzigen Antrag gegen die geplante Fusion. NetzwerkunterstützInnen aus Kassel hatten dafür eine Mehrheit bei der ötv-Kreiskonferenz in Kassel bekommen.
Heute können wir feststellen, dass der Niedergang der Gewerkschaften mit ver.di noch schlimmer ist, als wir ihn 1999 vorausgesagt haben. Ver.di ist keine Erfolgsgeschichte der Gewerkschaftsbewegung, sondern die Geschichte eines weiteren dramatischen Niedergangs.
Die Fusion der ötv mit anderen Gewerkschaften im Jahr 2001 wurde uns mit dem Argument von erhöhter Kampfkraft verkauft. In Wirklichkeit wurde alles noch schlimmer. Anstatt wie versprochen betriebs- und bereichsübergreifende Solidarität zu organisieren, spaltet der Aufbau von ver.di die Mitglieder. Die traditionelle Einheit des öffentlichen Dienstes wurde in 9 Fachbereiche aufgelöst. Nicht das Gefühl von Gegenmacht sondern von Ohnmacht bestimmt das Bewusstsein der Mitglieder. Belegschaften müssen eine Niederlage nach der anderen einstecken. Immer mehr Mitglieder sagen sich, zum Verzichten brauch ich keine Gewerkschaft und treten aus.
Seit der ver.di-Gründung hat sich unser Interessenten- und Unterstützerkreis auch auf andere Fachbereiche ausgedehnt. KollegInnen bei der Telekom bringen z.B. die oppositionelle Betriebszeit „Magentat“ heraus.
Ein von Netzwerk-UnterstützerInnen erarbeiteter Antrag gegen die Hartz-Pläne vom August 2002 wurde von vielen gewerkschaftlichen Gremien bis hin zum ver.di-Bezirksvorstand Südhessen ohne oder nur mit wenigen Änderungen oder Ergänzungen beschlossen. Wir forderten in diesem Antrag „dass die Gewerkschaften alle Mittel, also Demonstrationen und Kampfmaßnahmen bis zu Streiks einsetzen, um diese Pläne gegen die Interessen der Erwerbslosen und Lohnabhängigen zu stoppen“.
Wir betrachten uns als Teil der Bewegung gegen neoliberale Globalisierung und Krieg. Wir waren von Anfang an am Aufbau der „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftlinken“ beteiligt.
Eintägiger Generalstreik
Im Sommer 2003 war für AktivistInnen in Betrieben und Gewerkschaften sowie der sozialen Bewegung klar: Die Gewerkschaftsspitzen machen nichts, aber auch gar nichts gegen die Agenda 2010. Initiative von unten war gefragt. In verschiedenen Bereichen wurde die Idee einer bundesweiten Demonstration diskutiert. In dieser Situation brachten Netzwerkunterstützer brachten im Arbeitsausschuss der Gewerkschaftslinken sowie der bundesweiten Anti-Hartz-Bündnis-Koordination den Antrag ein, im August eine Aktionskonferenz durchzuführen, um diese Diskussionen zusammenzubringen mit dem Ziel eine bundesweite Demonstration zu organisieren. Diese Aktionskonferenz brachte den Durchbruch. Es wurde der Aufruf für eine bundesweite Demonstration am 1.11. 2003 beschlossen. Von dort aus entwickelte sich eine enorme Dynamik, gerade auch in ver.di-Gliederungen vor Ort. Beim ver.di-Kongress im Oktober 2003 sorgten NetzwerkunterstützerInnen nicht nur für einen Initiativantrag zur bundesweiten Mobilisierung durch ver.di sondern auch für einen Antrag für einen eintägigen Generalstreik. Der Kongress beschloss einstimmig die Mobilsierung für die Demo durch ver.di. Der ver.di-Vorstand setzte diesen Beschluss aber nicht um. Nur einzelne ver.di-Gliederungen organisierten Busse nach Berlin. Die Demo war mit 100.000 TeilnehmerInnen und einer sehr kämpferischen Stimmung ein voller Erfolg. Der Antrag für einen Generalstreik auf dem ver.di-Kongress 2003 wurde – obwohl ordnungsgemäß eingebracht – durch die Tagungsregie gleich gar nicht beraten.
Bei der ver.di-Bundesjugendkonferenz im April 2003 hatten wir einen Antrag durchgebracht mit der Forderung nach einem eintägigen Generalstreik gegen die Agenda 2010.
Netzwerkdelegierte und NetzwerkunterstützerInnen aus Berlin waren beteiligt an Randtreffen von linken Kongressdelegierten und an der Gründung einer bundesweiten ver.di-Linken Ende März 2004.
Spartentarifverträge, TVöD/TV-L lehnen wir ab
Seit der Gründung des Netzwerks diskutieren wir vor jeder Tarifrunde im öffentlichen Dienst eigene Forderungen und gehen mit dieser Position in die gewerkschaftlichen Gremien.
Wir lehnen Spartentarifverträge ab. Im Zusammenhang mit dem Spartentarifvertrag führten Netzwerk-Unterstützer bei den Essener Verkehrsbetrieben eine harte innergewerkschaftliche Auseinandersetzung. Dabei kam es sogar zum ersten Ausschlussverfahren aus ver.di und Dienstsuspendierung eines Kollegen. Beides konnte durch eine vom Netzwerk organisierte Kampagne abgewehrt werden.
Wir haben den Tarifabschluss 2003 im öffentlichen Dienst und die darin enthaltene Prozessvereinbarung zur Tarifreform hart kritisiert. Wir waren von Anfang an gegen den TVöD als Absenkungstarifvertrag. Wir haben innerhalb von ver.di einen bundesweiten Steik im gesamten öffentlichen Dienst (einschließlich der BeamtInnen) argumentiert. Ziel eines solchen Streiks hätte unserer Meinung nach die Rücknahme der tariflosen Arbeitszeitverlängerung und der Kürzungen bei den Sonderzahlungen und eine tabellenwirksame Erhöhung der Löhne, Gehälter und Besoldungen um 250 Euro im Monat sein sollen. Mit Flugblättern, Anträgen und Lobbys mit Offenen Briefen bei den Sitzungen der Großen Tarifkommission haben wir unseren Standpunkt gegenüber der Politik der ver.di-Führung vertreten.
TVöD und TV-L sind Absenkungstarifverträge in der Größenordnung von 10 bis 15%. Das schlimmste daran ist, dass uns Bsirkse, Martin und Co. dieses Machwerk auch noch als Erfolg verkaufen wollen. Sie reden von einer „Jahrhundertreform“ und eine „Meilenstein“ in der Tarifgeschichte. Für uns ist es die größte Niederlage im öffentlichen Dienst in der Nachkriegsgeschichte.
Wir haben eine Broschüre herausgebracht, mit der wir die Schönrechnerei der ver.di-Bürokratie widerlegen und nachweisen, dass der TVöD eine enorme Verschlechterung gegenüber dem BAT/BMT-G bedeutet.
Krankenhauskampagne
Unter der Führung von Bsirske kam es im ver.di-Bundesvorstand zu einem fundamentalen Positionswechsel bei der Gesundheitspolitik. Bsirske meint wie alle Politiker der etablierten Parteien, dass das Gesundheitssystem so nicht mehr finanzierbar sei. Innerhalb von ver.di wird von der Spitze her für Wettbewerb, Effizienz und die Vertragsfreiheit der Krankenkassen argumentiert. Die Fallpauschalenfinanzierung wird akzeptiert. Die Angriffe der Schröder-Regierung auf die Krankenhäuser und die Patienten wurden von der ver.di-Führung akzeptiert. Mit der Kampagne „Gesundheit zählt, wählt“ wurden 1 Millionen Euro Mitgliedsbeiträge 2002 für eine Wahlunterstützungskampagne für die SPD verschwendet. Obwohl die Kampfbereitschaft in den Krankenhäusern in den letzten Jahren sich immer wieder gezeigt hat, unternimmt die ver.di-Führung nichts um einen bundeseinheitlichen Kampf um mehr Gelder für die Krankenhäuser zu führen. Mit dem Zukunftssicherungsvertrag Krankenhäusern (Zusi)will ver.di Krankenhausbelegschaften auf die ohnehin viel zu niedrigen Löhne eine weitere Absenkung der Löhne um bis zu 10% zumuten. Mit ihrer Tarifpolitik organisiert ver.di-Tarifdumping in den Krankenhäusern mit. Die tiefe Spaltung der Krankenhausbelegschaften zwischen Ärzten und nichtärztlichem Personal hat letztlich seine Ursachen in der völlig verfehlten Tarifpolitik von ver.di. Jahrelang hat ver.di nichts getan gegen die extreme Ausbeutung von Assistenzärzten getan. Als ver.di alle Krankenhausbeschäftigten mit dem TVöD und Zusi verraten und verkauft hat, sahen die Ärzte im Marburger Bund eine Organisation, die vermeintlich ihre Interessen besser vertritt. NetzwerkunterstützerInnen in verschiedenen Krankenhäusern halten dagegen. In Kassel z.B. kämpfen NetzwerkunterstützerInnen gegen die Einführung eines Absenkungstarifvertrags. Am Bürgerhospital Stuttgart haben NetzwerkunterstützerInnen ein Aktionskomitee aufgebaut, mit dem Kolleginnen zum Kampf gegen die Defizitabwälzung auf die Beschäftigten aktiviert wurden.
Das Netzwerk hat im Frühjahr 2006 eine Broschüre herausgebracht mit dem Titel „Humanmedizin statt Profitmedizin“. Wir widerlegen darin die neoliberale Propaganda und bringen Argumente und eine Programm zur Verteidigung der Krankenhäuser. Wir fordern einen bundesweiten Kampf von ver.di. Dafür haben wir eine Unterschriftenliste im Einsatz. Wenn ver.di es weiter ablehnt – wie schon mehrfach gefordert – eine bundesweite Krankenhauskonferenz zu organisieren, will das Netzwerk die Initiative ergreifen eine solche Krankenhauskonferenz von unten zu organisieren.