Kämpferische Gewerkschaftspolitik – dringend gebraucht

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„Ver.di: Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf“

Wann:      Montag, 18.09.23      19:30 Uhr

Wo:          Oyoun, Lucy-Lameck-Str. 32,
                 12049 Berlin

Mit großer Geschwindigkeit hat sich die Lage der arbeitenden Menschen in den vergangenen Jahren verschlechtert. Auf die harten Lebensbedingungen während der Coronakrise folgte die Inflation, die durch den Krieg in der Ukraine enorm angeheizt wurde. Entgegen der Ankündigungen scheint sich die Inflation auf hohem Niveau auch im kommenden Jahr fortzusetzen. Nun verschlechtert sich auch die Wirtschaft, gehen Produktion und Exporte deutlich zurück und es droht eine deutlicher spürbare Rezession, bei der es auch zu Entlassungen und Betriebsschließungen kommen kann.

Gleichzeitig herrscht in vielen Bereichen eklatanter Personalmangel, und das besonders auch in Bereichen, in denen ver.di Mitglieder organisiert, wie im öffentlichen Dienst, Krankenhäusern, im öffentlichem Personennahverkehr, im Flugverkehr, wie auch in privaten Dienstleistungsbereichen. Dazu kommen die Krisenerscheinungen innerhalb einer auf Konkurrenz und Profitlogik ausgerichteten kapitalistischen Gesellschaft: Klimaerwärmung, Kriege, Hunger und vermeidbare Epidemien. Das alles führt dazu, dass Millionen Menschen sich zur Flucht gezwungen sehen.

Die krisenhaften Erscheinungen bedeuten auch eine wachsende gesellschaftliche Polarisierung. Dabei werden Rassismus und Rechtspopulismus dann stark, wenn auch von Gewerkschaften und einer linken Partei keine klare Perspektive aufgezeigt wird, wie die Krisen zu bewältigen sind. Den Gewerkschaften kommt zunehmend eine gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Rechte werden da stark, wo die Organisationen der Arbeiter*innenklasse es versäumt, einen konsequenten Kampf für die Verteidigung des Lebensstandards und eine lebenswerte Zukunft für alle zu führen, egal welche Nationalität, Religionsangehörigkeit, Geschlecht oder sexuelle Orientierung.

Spürbare Kampfbereitschaft

Wir haben aber eine hohe Kampfbereitschaft gesehen. Gerade die galoppierenden Verbraucherpreise hatten und haben zur Folge, dass viele Kolleg*innen die Notwendigkeit erkannt haben, sich in Tarifrunden für ihre Forderungen stark zu machen. Dies wurde gerade in den Tarifauseinandersetzungen bei der Post und im öffentlichen Dienst spürbar. Besonders im ersten Halbjahr, in denen viele große Warnstreiks stattfanden, traten 130.000 neue Kolleg*innen in ver.di ein. Auch gelang es, in einigen Bezirken eine Reihe von jüngeren Kolleg*innen in die gewerkschaftliche Arbeit einzubeziehen. Das war vor allem dort der Fall, wo demokratische Beteiligung ermöglicht wurde. So wurde beispielsweise das Prinzip von Teamdelegierten, wie es aus der Berliner Krankenhausbewegung bekannt wurde, auch in anderen Betrieben angewendet. Gemeinsame Streikkonferenzen aller von der Tarifrunde betroffenen Berliner Betriebe waren gut besucht und stellten einen guten Ansatz für Streikdemokratie dar. Auch in anderen Städten wurde dieser Ansatz aufgegriffen.

Leider hat die ver.di-Führung aber die Chancen für den Aufbau einer großen Streikbewegung vertan. Bei der Post wurde trotz gutem Ergebnis bei der Urabstimmung für Erzwingungsstreik plötzlich und ohne Not in Verhandlungen ein Ergebnis angenommen, welches keine wesentliche Verbesserung zu dem vorher abgelehnten Angebot darstellte. Im öffentlich Dienst kam es zum Schlichtungsverfahren. Das führte zunächst dazu, dass die Streikdynamik gebrochen wurde und dann wurde einem Schlichtungsergebnis zugestimmt, was im Wesentlichen ähnlich dem bei der Post war. Die Hauptkritikpunkte daran: zu lange Laufzeit, zu späte Tabellenerhöhung, die letztlich zu einem Reallohnverlust führt.

Eine relevante Minderheit bei der Post wie auch im öffentlichen Dienst sprach sich gegen die Annahme dieser Ergebnisse aus. Gerade Aktive waren enttäuscht, weil den kämpferischen Reden kein konsequentes Handeln aus der ver.di-Führung folgte. Daher sehen aktuell auch einige Kolleg*innen die Notwendigkeit, sich für eine kämpferischere Ausrichtung zusammenzuschließen und in ver.di dafür Mehrheiten zu gewinnen. Dabei geht es auch darum, dass Kolleg*innen demokratisch über den Verlauf ihrer Tarifrunden entscheiden können und das Heft in der Hand halten.

Streikdemokratie & Koordinierung

Gerade aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Teamdelegiertenprinzip in den Krankenhäusern als auch den schlechten Erfahrungen mit dem Schlichtungsverfahren wäre es wichtig, beim ver.di Bundeskongress Lehren aus den diesjährigen wichtigen Tarifrunden zu ziehen und Änderungen vorzunehmen. Dazu gehört einmal, die Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst endlich aufzukündigen, denn sie ist kein Hebel, sondern Knebel. Außerdem wäre es der Zeitpunkt, über demokratische Streikformen zu sprechen, um so auch eine Stärkung der Mitglieder und der gewerkschaftlichen Strukturen in den Betrieben herzustellen. So würden Streikdelegiertenkonferenzen auf Bundesebene dafür sorgen, dass Kolleg*innen sich befähigt fühlen, Diskussionen über den Verlauf des Arbeitskampfes demokratisch zu führen. Zusammen mit regelmäßigen Streikversammlungen auf betrieblicher und örtlicher Ebene wäre es so möglich, dass die streikenden Kolleg*innen über alle Kampfschritte diskutieren und entscheiden können.

Der gemeinsame Warnstreiktag im öffentlichen Dienst und bei der Bahn hat die Richtung aufgezeigt, in die ver.di und alle DGB-Gewerkschaften gehen sollten, um gemeinsam Kampfstärke aufzubauen. Aus einzelnen Tarifkämpfen könnten große Tarifbewegungen gemacht und der politische Druck enorm erhöht werden. Dies würde auch die Attraktivität der Gewerkschaften insgesamt enorm erhöhen und könnte helfen, den Organisationsgrad zu erhöhen.

Was auf uns zukommt

Auch wenn es noch keine frontalen Angriffe gibt, wird doch deutlich, dass wir darauf zusteuern. Was als Reformen verkauft wird, ist einerseits häufig eine Umbenennung anstatt eine Verbesserung wie bei der Kindermindestsicherung oder beim Bürgergeld. Statt dem Heizungsgesetz wäre ein Umbau hin zu klimafreundlicher Energie auf der Grundlage von demokratisch kontrolliertem und verwalteten Gemeineigentum der Energiewirtschaft und finanziert aus den Gewinnen der Energiekonzerne nötig. Auch bei der Krankenhausreform sehen wir keine Abkehr von einer Gewinnorientierung. Viele öffentliche Krankenhäuser werden diese Reform nicht überleben. Die gerade beschlossenen Wirtschaftswachstumsgesetzpläne werden Mindereinnahmen für Länder und Kommunen bedeuten. Das bedeutet potentiell Einsparungen bei Schwimmbädern, Freizeiteinrichtungen, sozialen kommunalen Einrichtungen, Bibliotheken.

Ende der Sozialpartnerschaft

Egal, ob SPD, Grüne, FDP oder CDU/CSU – alle etablierten Parteien agieren im Interesse von Konzernen und Banken – wenn auch teilweise verschiedenen „Kapitalfraktionen“. Keine der Parteien vertritt die Interessen der Masse der arbeitenden Bevölkerung. Ihre Politik treibt einige in die Arme der AfD, die ihrerseits lediglich vorgibt, die Interessen des „kleinen Mannes“ zu bedienen. In Wirklichkeit steht sie für eine neoliberale Wirtschaftspolitik und den Abbau von sozialen Errungenschaften für die Masse der Beschäftigten, rassistische Hetze und für eine Schwächung der Gewerkschaften.

Eine Einbindung der Gewerkschaften in eine „konzertierte Aktion“ oder einen „Deutschlandpakt“ der Regierung ist klar abzulehnen, denn das Ziel ist die Vermeidung von Massenprotesten. Der Platz der Gewerkschaften sollte aber genau an der Spitze von Massenprotesten, Demonstrationen und Streiks sein, um die Interessen der gesamten Arbeiter*innenklasse gemeinsam zu verteidigen.

Nein zu Krieg und Aufrüstung

Auch außenpolitisch hat die Ampelregierung eine so genannte Zeitenwende eingeläutet. Es ist nicht das erste Mal, dass unter dem Vorwand der „Verteidigung demokratischer Werte“ Aufrüstungsprogramme eingeleitet werden. Darüber freut sich die Rüstungsindustrie. Außerdem sollen deutsche Soldat*innen eine aktivere Rolle in vielen Ländern spielen. Hier geht es aber wie auch in der Geschichte immer um die Verteidigung von wirtschaftlichen Interessen. Dies ist nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung! Opposition gegen den russischen Einmarsch ist nicht gleichbedeutend mit Unterstützung der ukrainischen Oligarchen-Regierung und der sie unterstützenden NATO-Staaten ist, sondern es sollte eine unabhängige Klassenposition eingenommen werden. Das heißt, sich mit der arbeitenden Bevölkerung in beiden Ländern zu solidarisieren. Auch die Sanktionspolitik trifft letztlich die Arbeiter*innenklasse in Russland und international am härtesten. Stattdessen muss es die Aufgabe der Gewerkschaften sein, international den Widerstand der Arbeiter*innenklassen in den jeweiligen Ländern gegen die unsoziale und kriegerische Politik ihrer eigenen Regierungen zu unterstützen. Es muss deutlich gemacht werden, dass die arbeitenden Menschen weltweit geeinigt werden müssen, anstatt für strategische Interessen ihrer kapitalistischen Regierungen gegeneinander aufgehetzt und auf Schlachtfelder geführt zu werden. Um diesen wie andere Kriege zu beenden, ist es nötig, auch die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus in den Blick zu nehmen.

Mit den Formulierungen im Antrag des Gewerkschafsrates zum Ukraine-Krieg würden bisherige friedenspolitische Beschlüsse über den Haufen geworfen, da alle Maßnahmen der Bundesregierung und der NATO – von Sanktionen bis Waffenlieferungen an die Ukraine – als richtig erachtet werden. Es ist gut, dass gegen diesen Antrag ein Aufruf unter dem Titel „Sagt Nein“ gestartet wurde und dieser sollte breit unterstützt werden. Zu Ende August haben ihn bereits etwa 10.000 Menschen unterzeichnet.

Fazit

Anstatt Sozialpartnerschaft brauchen wir eine konsequente Vorbereitung auf kommende Arbeitskämpfe, Tarifrunden und die mögliche Abwehr von Angriffen auf Rente, Arbeitszeit, Streikrecht sowie Kürzungen zum Beispiel auf kommunaler Ebene. Wir brauchen dafür einen radikalen Kurswechsel in der Ausrichtung und den Strukturen unserer Gewerkschaft. Dies wird nur möglich sein, wenn wir uns systematisch vernetzen, um uns für eine solche Veränderung einzusetzen. Wir rufen deshalb dazu auf, mit uns in Diskussion und Kontakt zu treten, um über eine mögliche weitere Zusammenarbeit zu sprechen.

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„Ver.di: Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf“

Wann:      Montag, 18.09.23      19:30 Uhr

Wo:          Oyoun, Lucy-Lameck-Str. 32,
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